Die Schweiz auf der Suche nach sich selbst

Über Identität und die (neue) Schweizer Hymne

Liebe Rünenenbergerinnen
Liebe Rünenberger
Werte Gäste

Herzlichen Dank für die Einladung! Ich freu mich sehr, dass ich als „Unterländer“ aus Gelterkinden, die heutige Festrede hier oben im schönen Rünenberg halten darf!

Als mich Werner Seeholzer im Namen des GR anfragte, wies er darauf hin, dass zuletzt 3 FDP-, 2 SVP-, ein Rünenberger Bürger und nur ein Sozialdemokrat aufgetreten seien. Es wäre also an der Zeit, dass ein Sozialdemokrat diese Ungleichheit ins Lot bringen würde. Wohl an denn! Aber: Ob ich alleine so viel Gewicht (!) wie 5 bürgerliche Redner in die Waagschale werfen kann? Diese Herausforderung nehme ich auf jeden Fall gerne an.

Wie auch immer: Ich habe nicht vor, das Parteiprogramm der SP Schweiz herunter zu spulen. Aber natürlich ich empfehle Ihnen, einmal hinein zu schauen. Sie werden schnell erkennen, dass es nicht nur um die Überwindung des Kapitalismus geht. Sondern vor allem um Ideen und Vorschläge, wie die zentralen Werte der Sozialdemokratie – Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität – in unserer Gesellschaft umgesetzt werden könnten. Die Schweiz und die Welt, und im kleineren Massstab natürlich auch unser Kanton und auch Rünenberg, leben in einer Zeit der Veränderungen von historischem Ausmass. Dazu zählen in erster Linie: die Globalisierung, die Umweltzerstörung, die stockende Europäische Integration, die zunehmende Differenz zwischen Arm und Reich, Krieg und Terror verbunden mit grosse Flüchtlingsströmen, aber auch gesellschaftliche Veränderungen (wie z.B. Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder die Überalterung). Es ist darum nicht verwunderlich, dass auch in unserem Land heftig über die Gestaltung der Zukunft gestritten wird. Deshalb sind die Wahlen im Herbst von besonderer Bedeutung. Klammerbemerkung: Gehen Sie wählen! Es kann nicht sein, dass mehr als die Hälfte der Stimmberechtigten zu Hause bleibt und sich um das Schicksal von unserem Land foutiert.

Im Zusammenhang der erwähnten Veränderungen möchte ich ein paar Überlegungen anstellen. Ich glaube, die Schweiz ist zurzeit auf der Suche nach sich selber. Sie fragt sich, wo sie steht, wer sie eigentlich ist und wie sie die Zukunft gestalten soll, um in dieser Zeit von Veränderungen bestehen zu können. Die Schweiz ist auf der Suche nach ihrer Identität. Oder noch wahrscheinlicher: Sie ist auf der Suche nach ihren Identitäten. Die Schweiz ist seit dem 2. Weltkrieg deutlich vielfältiger und bunter geworden, so dass es vermutlich nicht mehr nur eine Identität, also die Schweiz, gibt. Ich glaube, die Schweiz von heute hat mehrere Gesichter und somit auch mehrere Identitäten. Und trotzdem ist es immer noch die Schweiz, aber nicht mehr die Schweiz des 19. und 20., sondern die Schweiz des 21. Jahrhunderts. Unser Land hat ihr Gesicht und ihr Wesen verändert. Und dieser Prozess ist nicht aufzuhalten. Häufig schneller als uns lieb ist. Weil wir alle immer älter werden und die Veränderungen immer schneller voran schreiten, nehmen wir auch immer mehr Veränderungen wahr.

Ich komme immer gerne nach Rünenberg. Der Weitblick in alle Himmelsrichtungen hat etwas Befreiendes und Beruhigendes. Besonders gerne schaue ich in Richtung Südwesten in die Hügelketten des Faltenjuras im Passwanggebiet. Dann fühle ich mich daheim. Ein Holländer – nein eine Niederländer – fühlt sich zu Hause, wenn es topfeben ist und er das Meer rauschen hört. Ich fühle mich daheim, wenn ich vom Wisenberg hinunter auf die Ebenen des Tafeljuras und ihre Dörfer blicken kann. Diese Landschaft hat mich geprägt. Aber auch die Menschen, die hier zwischen „Bärg und Täli“ leben, haben mich zu dem gemacht, das ich heute bin. Das obere Baselbiet hat mir eine Identität verschafft und umgekehrt identifiziere ich mich mit Gelterkinden, wo ich aufgewachsen bin, und mit seiner Umgebung, also auch mit Rünenberg. Haben Sie gewusst, dass der ganze Bann von Rünenberg in einem BLN-Gebiet liegt, also in einem Gebiet mit Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung? Weil ich in einer so schönen Landschaft leben darf, engagiere ich mich seit mehr als 10 Jahren im Verein Erlebnisraum Tafeljura. Dieser hat das Ziel, die Natur- und die Kulturlandschaft des Baselbieter Tafeljuras zusammen mit den Dörfern rücksichtsvoll weiter zu entwickeln. Das gelingt nur, wenn man sich hier zu Hause fühlt und bereit ist, etwas an die Menschen und ihre Landschaft zurück zu geben, die einem positiv beeinflusst haben. Ich mache zwei Beispiele: 1. Der Erlebnispfad „wisenbergwärts“, der von der Sommerau am Rünenberger Giessen vorbei auf den Wisenberg führt, vermittelt viel Wissenswertes aus der nächsten Umgebung. 2. Mit 800 neu gepflanzten Hochstammbäumen in 14 Gemeinden wollen wir die charakteristische Hochstammlandschaft – mindestens teilweise – erhalten und dafür sorgen, dass die Früchte auch wieder verkauft werden. Mit diesem Projekt profitiert nicht nur das Landschaftsbild, sondern auch die Bauern, die Konsumenten und viele Kleintiere, die in und von den Bäumen leben.

Was will ich damit sagen: Identität aufbauen und finden beginnt im Kleinen. An einem Ort verwurzelt zu sein, sich aufgehoben zu fühlen, in der Gesellschaft mitwirken zu können, sind wichtige Voraussetzungen für die persönliche und die gesellschaftliche Entwicklung. Sie ist Ausdruck von einer Art Solidarität mit der Natur und den Menschen in der nächsten Umgebung. Das alleine genügt aber nicht. Sonst gäbe es keine schweizerische Identität.

Einer, der das mustergültig vorgelebt hat, war „euer“ Martin Birmann, liebe Anwesende. Er wurde 1828 hier in Rünenberg als Martin Grieder in eine arme Familie hinein geboren. Als 25-jähriger ist er von seiner Basler Förderin Juliana Birmann adoptiert worden. Er übernahm nicht nur ihren Namen, sondern nach ihrem Tod auch ihr Vermögen. Trotz des vielen Geldes hat er seine Herkunft nicht vergessen und sich zeitlebens für Arme und Kranke eingesetzt. So hat er als Politiker – er war Landrat und von 1869 – 1890 sogar Ständerat – für das erste Armengesetz (heute ist das Sozialhilfegesetz) in unserem Kanton gesorgt. Er ist auch als Gründer des ersten Kantonsspitals im Jahre 1877 in die Geschichte eingegangen. Das Haus steht heute zwar vor dem Abriss, aber es trägt noch immer seinen Namen.

Für mich ist er der wahre Held von Rünenberg – lebende Grössen natürlich ausgenommen, lieber Urs (Mangold). Nicht Johann August Sutter, der General Sutter, der seine Familie betrogen und Frau und Kinder verlassen hat und nach Kalifornien abgehauen ist. Ironischerweise hat sich Martin Birmann nach der Flucht um Familie Suter gekümmert.

Martin Birmann war auch in der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft – kurz SGG – aktiv. Diese ist 1810 ins Leben gerufen worden.Was will die SGG? Ich zitiere: „dass die Schweiz als Land und Gesellschaft die Einheit in der Vielfalt und Verschiedenheit pflegen und entfalten kann, mit den Verschiedenheiten tolerant und konstruktiv umgehen und die Unterschiede als Bereicherung erleben kann“.

Die SGG verfolgt ihre Ziele mit fünf Projekten. Zwei davon sind mir ins Auge gestochen: Das Rütli und die Nationalhymne. Ich möchte Ihnen diese zwei kurz vorstellen. Denn sie passen gut zur heutigen Bundesfeier.

Sie alle sind vermutlich schon einmal auf der berühmtesten Matte des Landes, der Rütli-Wiese, gestanden und haben den Hauch der Geschichte und der Mythen rund um die Gründung der Schweiz eingeatmet. 1860 hat die Gemeinnützige Gesellschaft das Land gekauft und der Schweiz geschenkt. Seither ist sie nicht nur für das Mähen des Grases verantwortlich, sondern sie organisiert jedes Jahr am 1. August die Bundesfeier und weitere Veranstaltungen. Noch bis am 20. September läuft die Ausstellung „iCH“. Überraschende und witzige Kunstbeiträge führen das Individuum („ich“) mit der Schweiz („CH“) zusammen. „iCH“ bedeutet also, ich bin ein Teil der Schweiz. Ziel ist das friedliche Zusammenleben und der Abbau von Ängsten vor Fremden. Dabei werden viele Fragen aufgeworfen, die zum Nachdenken anregen: Ab wann gehört jemand zur Schweiz? Ab wann prägt er oder sie die Schweiz mit? Mit welchem Ausweis darf man sich zur Schweiz gehörig fühlen? Was würden Sie auf die Frage antworten: Welche Privilegien geniessen Sie als Schweizerin oder Schweizer? – In der Ausstellung bekommt man z.B. folgende Antworten: Wohlstand, Sicherheit, Freiheit, Diskriminierungsverbot, Meinungs- und Religionsfreiheit, intakte Natur, sauberes Wasser und Bildung. Natürlich setzen sich die Kunstschaffenden auch ideenreich mit gängigen Wahrzeichen auseinander: Die Schweizer Fahne mit dem weissen Kreuz, der rote Pass, das Matterhorn, Käse, Chlöpfer oder Alpweiden. Die Ausstellung zeigt, dass die Schweiz von heute verschiedene Gesichter und Identitäten aufweist. Und wer mit Kunst nicht so viel am Hut hat und das Rütli eh zu weite weg ist, aber lieber dem FC Basel zujubelt, der weiss, wie sich das Team seit den 70er Jahren und dem Peruaner Teofilo Cubillas und dem Deutschen Othmar Hitzfeld verändert hat: Admir Smajic, Hakan und Murat Yakin, Iwan Ergic, Scott Chipperfield, Matias Delgado, Mohamed Elneny, Yoichiro Kakitani, Breel Embolo und wie sie alle heissen – in 25 Jahre alles typische Schweizer Namen…

Vom zweiten Projekt der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft, von dem ich Ihnen erzählen möchte, liebe Zuhörinnen und Zuhörer, haben Sie vielleicht schon etwas gehört. Die SGG hat sich auf die Suche nach einer neuen Nationalhymne gemacht. Mit einem Wettbewerb lanciert sie die Diskussion über Werte und Identität und will eine Hymne ermöglichen, welche die politische und kulturelle Eigenheit und Vielfalt der heutigen Schweiz abbildet. Grundlage für die neue Hymne ist die Präambel der Schweizerischen Bundesverfassung, welche im Jahr 1999 in Kraft getreten ist. Dort sind die zentralen Werte unserer Gesellschaft knapp und ansprechend formuliert. Wer von Ihnen kennt die Worte? Eben! Darum zitiere ich den Text:

Im Namen Gottes des Allmächtigen!
In der Verantwortung gegenüber der Schöpfung,
im Bestreben, den Bund zu erneuern (und den inneren Zusammenhalt zu festigen),

um Freiheit und Demokratie, Unabhängigkeit und Frieden in Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt zu stärken,
im Willen, in gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung ihre Vielfalt in der Einheit zu leben,

im Bewusstsein der gemeinsamen Errungenschaften und der Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen,
gewiss, dass frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht, und gewiss, dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen,
geben sich das Schweizervolk und die Kantone folgende Verfassung

Mehr als 200 Beiträge sind im letzten Jahr für eine neue Nationalhymne eingegangen. Eine 30-köpfige Jury hat dann im Dezember 2014 sechs davon für ein erstes online-Voting ausgewählt. Jetzt sind nur noch die drei besten im Rennen. Am 12. September abends um 18.10 Uhr in der Sendung „Potzmusig“ findet auf SRF 1 das finale Voting statt. Aber schon jetzt kann man sich bis am 6. September online an der Abstimmung beteiligen. Auf www.chymne.ch sind die Beiträge in allen vier Landessprachen zu hören. Am 12. September kann man im Verlauf der Sendung nochmals seine Stimme abgeben. Der Sieger wird dann dem Bund im Sinne eines Vorschlages übergeben werden. Ich habe mich bereits entschieden. Für mich ist der Beitrag A der klare Favorit. Mir imponieren der Text an für sich, die Kürze des Textes und die Melodie, die von der alten Hymne übernommen worden ist. Natürlich wäre es jetzt spannend, mit Ihnen über den Sinn und den Inhalt dieses Projekts zu diskutieren. Aber das überlasse ich Ihnen und Ihren Tischnachbarn. Oder: Nehmen Sie das Blatt, das ich auf den Tischen ausgelegt habe, mit nach Hause und diskutieren Sie in der Familie über das Projekt einer neuen Nationalhymne. Vielleicht nehmen Sie sich sogar auch die Zeit, wieder einmal aufs Rütli zu fahren und die Ausstellung anzusehen.

Die Schweiz hat sich verändert. Und sie wird sich weiter verändern. Und wir mit ihr. Die Schweiz sucht zurzeit nach ihrer Identität und sie findet ständig neue Identitäten. Sie ist vielfältiger geworden, aber sie ist nicht schlechter geworden. Die Schweiz ist noch immer ein Land mit vielen, vielen Privilegien, um die uns fast alle Länder von dieser Welt beneiden. Stellen wir uns den Veränderungen ohne Angst, aber mit viel Selbstbewusstsein, ohne unsere Wurzeln zu vergessen.

Ich schliesse mit den Worten, mit denen SVP-NR Jean-Francois Rime seine Rede auf dem Rütli letztes Jahr beendet hat:

 „Die Schweiz ist ein tolles Land. Die Schweiz hat es verdient, dass wir uns mit allen Mitteln für sie einsetzen. Und die Schweiz hat es verdient, dass wir sorgsam mit unseren Freiheiten und Grundwerten umgehen. Heute haben wir Schweizerinnen und Schweizer allen Grund, diese Schweiz, unsere Heimat – zu feiern.“

Vielen Dank!

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